
Indien: Mission, die verändert!
Nach fast 24 Stunden Anreise steigen wir in Kalkutta ins Auto und fahren Richtung Innenstadt. Autos, Verkehr, Menschen, wohin das Auge blickt. Wir sehen moderne Geschäfte und Firmenschilder, wie wir sie aus Europa kennen. Doch davor, daneben, dahinter: Hütten, Planen, Wellblech – und Menschen, deren Hoffnungslosigkeit uns aus ihren Augen entgegenstarrt. Fünf Jahre sind seit unserem letzten Besuch vergangen. Man könnte meinen, dass sich bei der weltweiten rasanten Entwicklung auch an der Armut in Indien etwas verändert, doch das Elend ist so groß wie zuvor. Wir merken: Mission, die verändert, wird nach wie vor dringend benötigt.
Zwischen Müllsäcken
Um über unsere Projekte berichten zu können, begleitet uns ein Filmteam. Und weil die deutschen Steuerbehörden einen Nachweis über die Mittel fordern, die ins Ausland gehen, haben wir auch unseren Steuerberater dabei, der alles dokumentiert und fotografiert. Heute bekommt er auch viel Elend vor die Linse: Wir fahren in eine Gegend, in der Müll abgekippt wird. Aus dem stinkenden Unrat sammeln die Leute Plastikteile zum Recyceln, um ein paar Rupien zu verdienen. Zwischen den Müllsäcken leben die Menschen. Jeder Quadratmeter öffentlicher Raum ist hier bewohnt: Unter den Brücken, entlang der Bahnlinien – überall hausen Menschen.
Schließlich fahren wir durch ein großes Tor, dahinter ein großes, solides Gebäude aus Beton. Früher war darin eine Gerberei, heute ist es eine Schule: die erste, die das Missionswerk unterstützt hat. Seit 2000 sorgen wir für Verpflegung, Kleidung, Lehrergehälter, Strom und Unterhalt. Als wir das Erdgeschoss betreten, halten die über 150 Kinder gerade ihre Andacht. Es sind die Kinder, deren Zuhause wir vorhin gesehen haben: die Planen- und Schutthütten, an denen wir vorbeigefahren sind. Als ich sie so schick in ihren Schuluniformen vor mir sehe, muss ich denken: perfekte kleine Menschen, die Gott so sehr liebt!
Top bewertet
Die Schulen unserer Mission haben die besten Auszeichnungen Kalkuttas, bessere als die staatlichen Schulen. Bei unserem letzten Besuch haben wir gesehen, wie die Eltern Schlange standen, um einen Schulplatz für ihre Kinder zu ergattern. Eltern mit ganz verschiedenen religiösen Hintergründen. Während der Andacht sagt Pastor Dr. Ivan, Leiter der Mission in Kalkutta zu mir: „Ich denke 98 Prozent dieser Kinder sind noch keine Christen. Sie singen die christlichen Lieder, sie lesen aus der Bibel, sie tanzen zu christlichen Liedern und hören die Andacht. Ich garantiere dir, dass 98 Prozent als Christen die Schule verlassen. Wir drängen sie nicht, sich zu bekehren. Sie kommen von ganz alleine und möchten Jesus nachfolgen.
25 solcher Schulen unterstützen wir derzeit in Indien. Mich berührt, dass dies alles durch unsere Freunde möglich ist. Anschließend haben wir Zeit, mit den Kindern zu reden, Spaß zu haben und ihnen Essen auszuteilen. Wir sehen, dass das Geld ankommt und dass das Leben von Familien verändert wird, die aus genau dem Umfeld kommen, das wir gerade noch als so hoffnungslos erlebt haben.
Elektriker und Friseure
Auch ein neues Projekt hier begeistert uns. Es nennt sich „Life Skills“ und ist eine Art Berufsschule: Nach ihrem Schulabschluss können die Jugendlichen einen Beruf erlernen. In einem Klassenraum nach dem anderen drängen sich die Schüler der verschiedensten Berufssparten. Zuerst besichtigen wir die Großküche mit den Küchenlehrlingen. Sie lernen, hygienisch zu arbeiten, mit Gemüse und Fleisch umzugehen und andere Fähigkeiten, die sie später als Küchenhilfen brauchen werden. Die besten Hotels von Kalkutta bemühen sich nach ihrer Ausbildung um diese Absolventen. Wir sehen Klassenzimmer für die Berufssparten Hotelempfang, Security, Altenpflege, Krankenpflege und Kosmetik, treffen angehende Elektriker, Hausmeister, Friseure, Näherinnen und etliche mehr. In jedem Winkel, so scheint es, sitzen Jugendliche, die mit großer Freude lernen, um eine Perspektive für ihre Zukunft zu haben.
Gebet willkommen
Eines unserer Lieblingsprojekte ist das „Mission of Mercy Hospital“. 1977 erbaut, war es bei unserem Besuch im Jahr 2000 völlig heruntergekommen. In Kalkutta wird es im Sommer bis zu 50 Grad heiß mit extrem hoher Luftfeuchtigkeit – dem hält kein Gebäude stand, egal, wie gut es gebaut ist. Dieses Krankenhaus haben wir vom Missionswerk Karlsruhe wieder fit gemacht. Heute ist es die Nummer 1 in Kalkutta und hat viele Preise gewonnen. Krankenhausleiter ist ein ehemaliges Patenkind: Sanjey Prasat leitete eine Bank, kam dann zurück in die Mission und führt seither diese 200-Betten-Klinik. Seit diesem Jahr ist auch seine Frau Ruhi, ebenfalls Bankerin, mit dabei.
Zusammen mit ihnen und den Stationsärzten besichtigten wir alles. Die beiden Kaplane erzählen uns, dass sie täglich für die Patienten beten. Egal, welcher Religion sie angehörten – Gebet sei immer willkommen. Wir klinken uns mit ein und beten mit den Menschen, denen wir bei der Besichtigung begegnen. In steriler Kleidung besuchen wir auch die vier OP-Säle, die wir neu renoviert und ausgestattet haben. Es berührt mich tief, den keimfrei klimatisierten Raum zu sehen, die OP-Lampen aus Deutschland und den neuen OP-Tisch, der gerade noch in Gebrauch war. Das ist Missionswerk in Indien – praktisch und sichtbar.
Im nächsten Stockwerk ist die Sozialstation untergebracht, die „Daniel Müller Charity Ward“. Hier werden Menschen behandelt, die nichts bezahlen können. Betten, Nachttische, die Renovierung von Grund auf stammen vom Missionswerk. Ein Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist hier gerade operiert worden. Eines von vielen, denen durch die Spenden unserer Freunde geholfen wurde. In einem anderen Zimmer bekommen junge Menschen mit einer Blutkrankheit zweimal im Monat Bluttransfusionen. Schließlich besichtigen wir das Flachdach. Hier kann man das Krankenhaus weiter aufstocken. Die Küche im Untergeschoss ist ausgebrannt und darf aus Sicherheitsgründen nicht mehr im Keller untergebracht werden. In einem der neugeplanten oberen Stockwerke soll nun eine Krankenhausgroßküche Platz finden. Denn zurzeit wird das Essen von weither gebracht, was erhebliche Einschränkungen und Kosten bedeutet.
Die schönste von allen
Die Blindenschule ist für uns etwas ganz Besonderes. An ihr hängt wirklich unser Herz. Sie ist so liebevoll gestaltet: in schönen Farben, mit bemalten Türen und vielen Details. Sie ist die schönste Schule von allen – obwohl die Kinder es gar nicht sehen können! Zwei Stockwerke durften wir 2012 einweihen, jetzt konnten durch Spenden weitere zwei Etagen aufgestockt werden, die wir diesmal einweihen. Der riesige Komplex wirkt inzwischen fast wie ein ganzes Blindenschuldorf. Ein Sportplatz wurde jetzt ganz neu angelegt, genauso wie ein Gemüsegarten zur Selbstversorgung. Jabesh Dutt, der Leiter, empfängt uns. Er hat ein übergroßes Herz für die Kinder und geht mit ihnen um, als könnten sie sehen.
Im großen Saal im Erdgeschoss führen Blinde und Sehende für uns ein schönes Programm auf, bevor wir uns auch hier umsehen. In der Werkstatt fertigen die blinden Kinder Schmuckstücke aus Perlen. Sie haben die verschiedenen Farben in unterschiedlichen Gefäßen vor sich – rote Perlen in einer Tüte, gelbe in einer Schale, weiße in einem Becher. Auch Tischtücher und Vorhänge werden hier genäht – mit der Nähmaschine und allein mit dem Tastsinn. Auch diese Kinder sollen Fähigkeiten lernen, um sich später ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Einige besuchen auch höhere Schulen, manche können nach einer Augenoperation sogar ein bisschen sehen. Immer wieder fasziniert uns, dass diese Kinder fröhlich sind, obwohl sie durch ihre Augen zum Teil entstellte Gesichter haben.
Geld für Essen fehlt
Sonntags ist auch in Indien Gottesdienst. Die christliche Gemeinde in Kalkutta hat über 5.000 Gemeindemitglieder. In der Hauptkirche und im Bürohochhaus werden den ganzen Tag über Gottesdienste in acht Sprachen abgehalten. Zuerst besuchen wir den englischen Gottesdienst. Es ist ein ganz besonderer Moment für mich, als wir hier auch ein Lied meiner CD singen. Dann habe ich die Freude, in einem Gottesdienst in nepalesischer Sprache zu predigen. Zur Gemeinde gehört auch eine eigene Bibelschule. Jeder Bibelschüler darf sich während der Bibelschulzeit ein Dorf heraussuchen, in dem noch keine Christen leben. So sind über die Jahre über 1.300 Gemeinden entstanden. Gott wirkt hier!
Montagfrüh besteigen wir erneut einen Flieger. Diesmal geht es in den Bundesstaat Orissa und die Hauptstadt Bhubaneswar. Mit den dortigen Pastoren haben wir 2009 den Grundstein für eine große Schule gelegt. Außer Feldern und Slums war damals noch nichts zu sehen. Jetzt steht hier neben dem größten Slum Orissas ein Wohngebiet – und mittendrin unsere Schule. Bei der Essensausgabe fällt uns auf, dass die Kinder nur wenige Beilagen zu ihrem Reis bekommen. Auf unsere Nachfrage erfahren wir, dass schlicht das Geld für ein größeres Mittagessen fehlt! Uns geht das sehr nahe. Kinder müssen hungern, weil einfach nicht mehr bezahlt werden kann.
Und noch etwas wird mir wieder deutlich: Einzelpatenschaften sind nicht die beste Spendenform. Schließlich kann man nicht die Kinder mit Pateneltern besser versorgen als etwa den Bruder, der keine Paten hat. Zudem ist schwer nachzuweisen, dass diese Kinder exakt eine Versorgung im Wert der Patenschaft bekommen. Durch finanzielle Hilfe für eine ganze Schule profitieren alle Kinder gleichermaßen. Wir kaufen Reis und Gemüse, zahlen die Lehrer und den Strom. So wird gerechter und viel effektiver geholfen. Spender bekommen dann kein Einzelfoto von „ihrem“ Kind, sind aber ein entscheidend wichtiger Teil einer ganzen Schule!
Edelstein im Elend
Zum Abschluss unserer Reise fahren wir nach Puri. Ein neues Hotel verspricht eine gute Unterkunft, doch das Zimmer ist feucht. Bettwäsche und Handtücher sind schmutzig, unzählige Moskitos summen und ständig steht Personal im Zimmer und verlangt Trinkgeld. Auch das gehört wohl zu einer Missionsreise.
Am nächsten Morgen fahren wir in einen nur fünf Minuten entfernten Slum. Isolde und ich sind schon einmal hier gewesen, aber die Situation hat sich weiter verschlimmert. Hier leben Menschen, die von der Regierung abgelehnt und nicht versorgt werden. Sie verdienen mit dem Fischen etwas Geld, aber es reicht nicht zum Leben. Mitten im Gehweg fließen die Abwässer. Wir müssen überall aufpassen, nicht in frische Fäkalien zu treten. Der Gestank lässt sich nicht beschreiben. Vor etwa sechs Jahren hat hier ein Zyklon gewütet, alles zerstört und einen einzigen Schutthaufen hinterlassen. Der damalige Hilferuf unserer Leute nach schneller Hilfe ist noch heute zu besichtigen: Durch die Mittel vom Missionswerk konnten einige einfache Steinhäuser gebaut werden. Für die Leute hier ist das wie eine Villa im Elend. Begeisternd ist, dass einige zu Christen geworden sind und ganz anders leben und aussehen – trotz Armut.
„Ich bin erschrocken, wie dürr die Jungen sind – und dennoch wirken sie glücklich.“
Am Rande des Slum liegt eine Schule, die nur von uns unterstützt wird. Die Kinder kommen aus all diesem Schmutz in Schuluniformen zum Unterricht, lernen und erhalten eine Mahlzeit. Als ich ein paar kleine Jungs auf den Arm nehme, um mit ihnen ein Foto zu machen, bin ich erschrocken, wie dürr sie sind – nur Knochen mit Haut. Und dennoch wirken sie glücklich – glücklich, weil sie eine Schule besuchen dürfen und Essen bekommen. Die Schule ist ein Edelstein im Elend. In einer Halle, die zur Schule gehört, werden auch Gottesdienste gefeiert. Inder lieben es zu tanzen und wir bekommen biblische Geschichten in farbenfrohen Kleidern als Tanz vorgeführt. Isolde und ich sind schon viel herumgekommen, aber von allen Orten der Welt singen und beten die Menschen hier in diesem Slum, in diesem Elend am lautesten!
Mission, die verändert – dank deiner Hilfe!
Noch heute – zwei Wochen nach unserer Rückreise – sind wir mit unserem Kopf und unseren Gedanken in Indien und träumen nachts von diesem Land. Wir sind sehr ermutigt davon, was wir mit Gottes Hilfe – und dank der Hilfe unserer treuen Freunde! – an Veränderung in Indien bewirken konnten. Es ist wirklich „Mission, die verändert“! Wir konnten dem Steuerberater und dem Filmteam so viele Projekte zeigen, die richtig gut funktionieren. Auch sie waren beeindruckt von der Qualität und der Menge der Arbeiten. Wir haben in der letzten Zeit viel über unsere Aufgaben in Israel geschrieben und obwohl auch dort so viel geschieht, hat unsere Indien-Mission noch einmal ungefähr den doppelten Umfang.
Ozean aus vielen einzelnen Tropfen
Wir möchten alle unsere Möglichkeiten einsetzen, um weiter Veränderung zu schaffen, auch wenn es bei den vielen Millionen armen Menschen vielleicht nur ein Tropfen ist. Aber schon unsere Missionarin Huldah Buntain sagte immer: „Es gibt nur einen Ozean, weil es viele Tropfen gibt!“ Wenn ich die folgenden Bibelverse lese, fühle ich mich mittendrin am richtigen Platz, um den Auftrag des Herrn zu erfüllen: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, Armen gute Botschaft zu verkündigen; er hat mich gesandt, Gefangenen Freiheit auszurufend und Blinden, dass sie wieder sehen, Zerschlagene in Freiheit hinzusenden, und den Unterdrückten, dass sie bald von jeder Gewalt befreit werden sollen“ (Lukas 4,18).
Daniel Müller, Leiter des Missionswerks
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