Zwei Brüder und der Tempel
Ich mag volkstümliche Legenden sehr gern. Auch wenn sie historisch nicht so passiert sind, spiegeln sie doch oft den Geist einer Sache wider. Eine dieser Legenden erzählt etwas über den Ort, an dem der Tempel errichtet wurde.
Sie handelt von zwei Brüdern, die gemeinsam ein Weizenfeld besaßen. Der eine Bruder war glücklich verheiratet und hatte fünf Kinder. Der andere war allein. Nach der Ernte brachten sie das Mehl jedes Mal zum Berg Moria, wo der Dreschplatz von Arauna lag, wie wir es aus 2. Samuel 24 kennen. Nach getaner Arbeit füllten sie den Weizen jedes Mal in Säcke, die sie zu gleichen Teilen unter sich aufteilten und ihr jeweiliges Lager brachten.
Eines Nachts dachte der alleinstehende Bruder: Ich bin alleine und brauche nicht viel. Mein lieber Bruder hat fünf Kinder und eine Frau – sicher benötigt er mehr Weizen als ich. Und so stand er mitten in der Nacht auf, lud zehn Säcke Weizen auf seinen Wagen und machte sich auf den Weg zum Lager seines Bruders.
Der verheiratete Bruder konnte ebenfalls nicht schlafen. Er dachte: Ich bin glücklich mit meiner Frau und meinen Kindern, die mich im Alter unterstützen werden. Wenn ich ihm mehr Weizen gebe, wird er ein größeres Vermögen haben und vielleicht eine Frau finden. Und so spannte er seinen Esel vor den Karren, lud zehn Säcke Weizen auf und brachte sie heimlich zum Lager seines Bruders.
Am nächsten Morgen wunderte sich die Brüder, dass die Zahl ihrer Weizensäcke immer noch dieselbe war. Das ist die Hand Gottes!, dachten sie beide. In der folgenden Nacht brachten sie einander erneut heimlich zehn Säcke Weizen. Und so geschah es sieben Tage lang. Am achten Tag trafen sich die beiden Brüder auf der Mitte des Wegs, genau auf dem Berg Moria. In diesem Moment begriffen sie, welche Liebe sie beide verband. Und wegen dieser Liebe beschloss Gott dieser Legende zufolge, sein Haus für die Menschen zu bauen. Dieses Haus sollte dieselbe Liebe in die Welt hineinstrahlen, wie sie die beiden Brüder durchdrungen hatte.
Dany Walter
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