Von innen nach außen
Vergebung. Ein Wort, das mich schon mein Leben lang beschäftigt. Ich fand vor einigen Jahren in einem Buch zu diesem Thema eine treffende Definition: „Vergebung ist eine bewusste und willentliche Handlung, durch die wir uns von der Last und den Beklemmungen durch Bitterkeit, Zorn, Wut oder sonstigen ungeklärten Emotionen trennen, die mit einer Person oder einem Ereignis verbunden sind.“
Die Elberfelder Studienbibel erklärt ergänzend, dass „das ein für alle Mal geschehene Versöhnungswerk Christi durch die Vergebung der Sünden zu einer befreienden Erfahrung werden soll. Denn wem Sünde vergeben wurde, der ist befähigt und verpflichtet, auch anderen von Herzen zu vergeben.“
Mit anderen Worten: Vergebung heißt aufzugeben bzw. abzugeben. Wir geben Abneigungen auf. Wir legen das Bedürfnis zu bestrafen ab. Wir lassen Zorn los. Wir hören auf, bei anderen Leuten nach Schuld zu suchen.
Überrascht von Jesus
Schauen wir uns ein Beispiel aus dem Neuen Testament an. In Lukas 5,18-26 lesen wir den Bericht über ein Haus voller Menschen, die aus der ganzen Region zusammengekommen sind, um Jesus lehren zu hören. Ein Gelähmter wird von seinen Freunden auf einer Matratze zu ebendiesem Haus getragen. Sie hatten gehört, Jesus sei ein Heiler, daher zogen sie los, um ihn zu finden. Aber die Menschenmenge im Haus ist so groß, dass die Männer mit dem Gelähmten auf der Matratze nicht zu ihm gelangen konnten.
Sie klettern also auf das Dach und decken einige Ziegel ab. Sie lassen ihren gelähmten Freund an Seilen hinab, sodass er genau vor Jesus landet. Die körperlichen Bedürfnisse dieses Gelähmten sind offensichtlich. Aber Jesus nimmt darauf scheinbar keinen Bezug, sondern er sagt: „Freund, deine Sünden sind dir vergeben“ (Lukas 5,20).
Sünden? Hier geht es doch um sein körperliches Leid! Wir hätten an seiner Stelle vielleicht gesagt: „Das war’s, Jungs. Bringt mich wieder nach Hause. Der Typ hier hat auch keine Lösung.“ Oder wir hätten eine Diskussion begonnen und hartnäckig darauf verwiesen, dass es um unsere Beine geht. Stattdessen begibt sich der Kranke vertrauensvoll in die Hände von Jesus. Er folgt schlicht seinen Anweisungen. Im Glauben springt er auf die Füße, ergreift seine Matratze und tanzt auf dem Weg nach Hause und preist Gott.
Jesus sieht den ganzen Menschen und arbeitet an ihm von innen nach außen. Wie oft bringen wir dagegen nur das Offensichtliche und Oberflächliche zu Gott? Und beginnen uns zu rechtfertigen: „Herr, sie hat mich verletzt, jetzt kann ich nicht schlafen.“ – „Ich bin wütend und schreie meine Kinder an. O mein Gott, mach, dass das aufhört, denn ich fühle mich nicht als Christ.“
Wir stecken Menschen in Schubladen und kategorisieren sie eben als gebrochen. Oder bei Problemen mit Jähzorn fordern wir dazu auf, sich endlich mal zusammenreißen.
Jesus dagegen, der immer weiß, was wirklich im Menschen vorgeht, sieht das Kernproblem hinter den offensichtlichen Symptomen. Er sieht den ganzen Menschen und handelt auf die barmherzige und mitleidende Art eines Erlösers, der uns am besten kennt. Wenn er die Wurzel unseres Problems offenlegt, dann haben wir immer eine Wahl: Wir können weiterhin herumlamentieren oder wir können unseren Widerstand aufgeben und uns in seine Hand geben. Man könnte auch sagen: Wir nehmen unsere Matratzen und gehen weiter.
Verwundetes Herz
Fehlende Vergebungsbereitschaft hält uns gebunden und krank. Wenn wir Vergebung zulassen, erlauben wir Gott, mit unserem Heilungsprozess zu beginnen. Vergeben heißt aufzugeben! Aufzugeben heißt, Gott ein williges Herz zu übergeben. Ich gebe Gott nicht das Problem oder die offensichtlichen Symptome und auch nicht die Person, die mich verletzt hat. Ich gebe mich selbst. Ich gebe meine Gedanken, Gefühle und mein verwundetes Herz an Gott ab und gestehe mir ein, dass ich es nicht aus eigener Kraft schaffe. Es ist ein ultimativer Vorgang der persönlichen Selbsthingabe.
In Jakobus 4,7 werden wir aufgefordert: „So unterwerft euch nun Gott“. Schutzlos geben wir uns Gott preis und öffnen ihm den Zugang zu jedem Bereich unseres Herzens. Im Petrusbrief heißt es ganz ähnlich:
„Beugt euch unter Gottes mächtige Hand. Dann wird Gott euch aufrichten, wenn seine Zeit da ist.“
1. Petrus 5,6-7
Wir geben ihm unsere Vergangenheit hin, wir vertrauen ihm unsere Gegenwart an und wir haben Hoffnung für die Zukunft! Stellt sich zuletzt noch die Frage, ob wir das auch wirklich wollen. Wie sieht es aus, wenn wir selbst einmal die Anweisungen durchgehen, die Jesus dem Gelähmten gab?
1. Steh auf
Lege alle persönliche Überzeugung ab, dass du es aus eigener Kraft schaffen könntest. Lasse deine Ausreden fallen und lass dein Versagen der Vergangenheit ruhen. Warte nicht länger darauf, dass sich jemand anders zuerst verändert. Wenn du aufrecht stehst, sieht die Welt anders aus. Du steckst nicht mehr im Sumpf einer Menschenmenge voller Kranker. Du siehst den Horizont und erkennst die Möglichkeiten jenseits deiner eingeschränkten Sichtweise.
2. Nimm dein Bett
Hebe im Geist dein Herz zu Gott empor. Halte nichts zurück. Lade ihn ein, jede Kammer deines Herzens auszufüllen. Gib ihm jeden Gedanken und allen Schmerz. Er hat vor deinen wahren Gefühlen keine Angst. Er hat sie schon längst erkannt.
Wenn du dein Bett einpackst, dann packe alles zusammen, das bisher als Schutz gedient hat. Natürlich: Die Matratze war auf kaltem, hartem Boden eine sichere Unterlage, aber sie begrenzt deine Mobilität. Verbitterung, Zorn, Perfektionismus, Angst, Abhängigkeit, Kontrolle sind nur ein paar der Bestandteile, aus denen sie gemacht war. Rolle die Matratze ein und sage Gott damit, dass du dorthin gehen willst, wo er dich haben will. Die alten Begrenzungen haben ihre Gültigkeit verloren. Von nun an ist Gott dein Schutz, nicht irgendein Verteidigungsmechanismus.
3. Geh
Es geht nicht darum, wie stark du bist. Es geht um seine Liebe für dich. Es geht um Gottes Kraft, die greifbar und nahe ist, denn er ist „unerschöpflich reich […] an Macht und Herrlichkeit, [er] gebe euch durch seinen Geist innere Kraft und Stärke“ (Epheser 3,16). Wir gehen und wir folgen Jesus nach. Schritt für Schritt. Stunde um Stunde. Tag für Tag.
4. Lobpreis
Wenn ich bereit bin zu vergeben, dann gestatte ich Gott nicht nur Einblick in allen seelischen Müll, der sich in meinem Innern angesammelt hat. Ich befinde mich gleichzeitig auch im Prozess der Wiederherstellung (Epheser 3,19). Oha, überrascht stelle ich fest, dass ein Teil meines Herzens um eine Last leichter wurde oder ich sehe plötzlich eine bestimmte Person in einem völlig anderen Licht. Nach außen hin mag diese Heilung noch nicht sichtbar sein, aber im Innern weiß ich, dass Gott an der Arbeit ist.
In der Theorie weiß es jeder von uns und wir alle haben das schon mal irgendwo gehört: Lobpreis ist eine bewusste Entscheidung in Zeiten, in denen ich mich wackelig fühle oder ich hingefallen bin. Lobpreis heißt, dass ich auch an solchen Tagen Gott die Ehre gebe, an denen das alte Bett ruft und ich in Versuchung komme, in alte Gewohnheiten zurückzufallen. Ich preise Gott, weil meine Heilung kein isolierter, einzelner Vorgang ist. Sie ist eine Abfolge von vielen Wundern. Im Verlauf dieser vielen Wunder nehme ich mein Bett, gehe los und preise Gott. Und … ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus!
Bernd Breuer
Leitfaden Heilung für deine Seele
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