Israel voller Emotionen

Unsere Reise in ein verändertes Land

Mit gemischten Gefühlen starteten Isolde und ich Ende Februar unsere Reise nach Israel. Wir wollten unsere fertiggestellten Kindergärten eröffnen und den zukünftigen Kindergarten nahe dem Gazastreifen besuchen. 

Als wir in Israel landeten, herrschte gerade noch eine Waffenruhe zwischen Hamas und Israel. Es hatte schon dramatische Freilassungen von Geiseln gegeben, bei der die Hamas die Übergabe von lebendenden und toten Geiseln entwürdigend veranstaltet hatte. Weitere sollten folgen.

Trauer überall

Schon am Flughafen war alles anders als bei früheren Besuchen: Bilder von getöteten Vätern, Müttern, Kindern und Freunden säumten den Weg zur Passkontrolle. Diesmal erwarteten uns keine überfüllten Gänge und Warteschlangen von Pilgern. Nur eine einzige Person stand vor uns. 

Unser Freund und Reiseleiter Dany holte uns am Flughafen ab. Er erzählte, dies sei ein trauriger Tag für ihn, denn sein 85-jähriger Freund war beerdigt worden. Aus Nächstenliebe hatte der Freund in früheren Jahren Palästinenser, die medizinische Hilfe brauchten, aus dem Gazastreifen nach Israel gebracht, damit sie dort Hilfe bekamen. Beim Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 wurde er dann erst verletzt und später umgebracht. Seine Frau hatte überlebt und erzählte, dass sie beide nach der Geiselnahme noch mit den Palästinensern gesprochen hatten, bevor diese ihren Mann töteten. Es sind Geschichten wie diese, die uns in diesen Tagen stark berührten und bewegten.

Als wir im Hotel ankamen, wirkte die Atmosphäre auch hier irreal. Normalerweise herrscht in den Lobbys der großen Jerusalemer Hotels reges Leben. Doch diesmal standen der Empfangsmitarbeiter der Rezeption und der Besitzer des Souvenirladens untätig zusammen. Es gab weder Gäste zu empfangen noch zu bedienen. Als wir am nächsten Morgen zum Frühstück in den geräumigen Speisesaal kamen, saßen nur vereinzelte Gäste dort. Das sonst üppige Büfett war stark reduziert. Als Dany zu uns zum Frühstück dazustieß, gestand er: „Ich habe heute schon geweint.“ Eine Mutter und ihre beiden kleinen Kinder, die in der Geiselhaft getötet worden waren, sollten heute beerdigt werden. Tausende Menschen säumten an diesem Tag bei einem öffentlichen Trauerzug die Straßen.

Dank des Bürgermeisters

Wir erlebten an diesem Tag ein Wechselbad der Gefühle – erst die Trauer, dann strahlende Kinderaugen bei der Einweihung des 58. Kindergartens. Gemeinsam mit Jerusalems Bürgermeister Moshe Leon besuchten wir die Einrichtung. Die Kinder begrüßten uns mit Liedern, selbstgebastelten Geschenken und Tafeln, um danke zu sagen. Erzieherinnen wie auch Eltern strahlten vor Freude. Die Kinder sangen nicht nur die Nationalhymne, sondern auch ein Lied mit einer großen Israelfahne, in dem sie für die Soldaten beteten, dass sie sicher zurückkehren mögen und das Land Israel gesegnet sei. Ein bewegender Moment, den man sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Nach einer herzlichen Umarmung bedankte sich der Bürgermeister bei uns für über 40 Jahre kontinuierliche Unterstützung durch den Bau der Kindergärten. Seine Warmherzigkeit – auch den Kindern gegenüber – ließ den Besuch fast wie ein Familientreffen erscheinen. Beim Bau werden die Kindergarten immer individuell an das soziale Umfeld im Stadtteil angepasst und auch dieser Kindergarten ist wieder richtig freundlich, schön und zum Wohlfühlen für die Kinder geworden.

Im Oktober 2023 wollten wir mit der Reisegruppe den 57. Kindergarten einweihen – doch die Reise hatten wir absagen müssen. Nun besuchten wir diesen Kindergarten ebenfalls und holten die offizielle Einweihung nach – obwohl hier natürlich schon lange Kinder spielen. Er war während des Krieges unversehrt geblieben – genauso wie alle anderen Kindergärten. Ebenso besichtigten wir den Kindergarten, den wir in diesem Jahr umbauen und sanieren wollen. Die Leiterin erzählte uns, dass sie als Kind mit ihrer Familie von Wien nach Israel gezogen war. Sie bat uns sehnsüchtig um Unterstützung, damit auch ihr Kindergarten so schön werden würde, wie die an diesem Tag eingeweihten Einrichtungen. Im Glauben haben wir ihr zugesagt, dass wir mit unseren Freunden versuchen werden, die Fertigstellung zum Schulbeginn im September 2025 zu ermöglichen.

Am Gazastreifen

Bei unseren Besuchen erfuhren wir in den Gesprächen mit Eltern und Verantwortlichen, wie die Situation wirklich ist in Israel – etwas, das man so nicht aus den deutschen Medien erfährt. Und natürlich kann kein Fernsehbericht vermitteln, was man vor Ort selbst erlebt. Von Jerusalem aus fuhren wir zwei Stunden lang zur südlichsten Stelle des Gazastreifens. Wir hatten uns ein paar Häuser inmitten einer Wüste vorgestellt – doch wir wurden überrascht: Wir sahen riesige Felder mit Blumen, Weizen und Gemüse, grünes bewässertes Land und große Fabriken, die für den Export produzieren. Bewirtschaftet wird alles von den Kibbuzim, den traditionellen Siedlungen in Israel, in denen Landwirtschaft und Industrie gemeinschaftlich organisiert sind. 

Der Kibbuz „Nir Yitzhak“ liegt nur drei Kilometer von der Grenze zu Gaza entfernt. Hier, an dem Ort, an dem auch am 7. Oktober 2023 Terroristen einfielen, standen wir neben einem Straßenbunker und erfuhren fassungslos, dass 40 Menschen in einem solchen Bunker Schutz gesucht hatten und alle in dem kleinen Raum ermordet worden waren. Auch in ihren Häusern suchten viele Schutz und wurden dort brutal getötet. Menschen verschanzten sich in ihren Häusern und wussten nicht, wie es um ihre Nachbarn bestellt war. In den nächsten Tagen schrien die Milchkühe in den riesigen Ställen, weil sie nicht gemolken wurden. Die Soldaten riefen Bauern an, die ihnen erklärten, wie sie mit den Kühen umgehen mussten. Jemand sagte zu uns: „Die abgebrannten Häuser kann man ersetzen, aber das im Herzen Erlebte, kann man kaum reparieren.“

Laufende Arbeiten

Wir waren gespannt auf das Haus in „Nir Yitzhak“, wo wir den Kindergarten bauen. Er steht unter einem riesigen Betondach, das vor Bombenangriffen schützt, da die Kinder nicht schnell genug in die Bunker kommen. Die Arbeiten am Kindergarten sind in vollem Gang. Gerade hatten die Handwerker die Wände eingerissen und die alten Fliesen von den Mauern geschlagen. So kann Neues und Schönes für die Kinder entstehen. Auf 3-D-Grafiken konnten wir schon sehen, wie es einmal fertig aussehen soll, damit sich die Kinder dort wohlfühlen. Die Familien, die nach dem Hamas-Überfall nach Jerusalem und in andere Orte evakuiert wurden, kommen nach und nach zurück in ihre Häuser oder was davon übriggeblieben ist. Nach den Sommerferien im September 2025 soll der Kindergarten eröffnet werden. Die Hälfte ist bezahlt – auch dank der Menschen vom ICF Karlsruhe, die ein Viertel der Kosten tragen. Jemand fragte uns, ob die 60 Kindergärten jetzt nicht reichen für Jerusalem. Aber Jerusalem hat nahezu eine Million Einwohner, davon laut dem Israelischen Zentralbüro für Statistik (CBS) etwa 90.000 Kinder im Kindergartenalter von 3 bis 6 Jahren. Wenn jeder Kindergarten ungefähr 75 Kinder aufnimmt, braucht es 1.200 Kindergärten …

Gedenken

Auf dem Rückweg zum Hotel fuhren wir an der Gedenkstätte vom 7. Oktober 2023 vorbei. Auf einem Feld sind hier Bilder mit persönlichen Gegenständen der Ermordeten aufgebaut. Viele Soldaten und Bürger besuchen diese Stätte, da so gut wie jeder mindestens einen Menschen aus dem näheren Umfeld verloren hat. Es war schwer zu ertragen, dies alles zu sehen. Es ist aber auch schwer zu ertragen, wie schnell wir dieses Ereignis in unserem Land vergessen und wie sehr die Tatsachen immer mehr verdreht werden. Der Kamaramann, der uns in Israel begleitete, war kurz nach dem Geschehen vor Ort gewesen und hatte eine Blutlache samt Messer darin gefilmt. Als er es in Deutschland zeigte, warfen ihm Leute vor, die Szene wäre gestellt. Im deutschen Fernsehen hatten wir einen Bericht gesehen, in dem es hieß, Israel stelle wegen der Hamas die Hilfslieferungen kurzfristig ein und nun sei das Gemüse auf dem Markt sehr teuer. Auf einem anderen Sender erfuhren wir: Das Gemüse auf dem Markt stammt von den Hilfslieferungen aus Israel, das die Hamas nun verkauft. Ich frage mich: Welches andere Land schickt seinen Feinden Hilfslieferungen, Strom und Wasser?

Ein biblischer Auftrag

Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll – in der Atmosphäre hier in Israel mit all dem was geschehen ist, ist eine Hilfe wie wir sie leisten unbeschreiblich wertvoll. Daher: Danke an alle, die uns treu beim Bau der Kindergärten in Israel unterstützen – finanziell und im Gebet!

Mir kam Esther aus der Bibel in den Sinn. Sie war Königin geworden und musste die drohende Vernichtung ihres jüdischen Volkes mitansehen. Ihr Pflegevater Mordechai fordert sie zum Eingreifen auf: „Wenn du jetzt nichts unternimmst, wird von anderswoher Hilfe für die Juden kommen … Vielleicht bist du gerade deshalb Königin geworden, um die Juden aus dieser Bedrohung zu retten!“ (Esther 4,14). Dieser Vers hat mich getroffen. Jeder von uns hat eine bestimmte Aufgabe! Es geht nicht nur darum zu beten: „Oh Gott, mach, dass alles gut wird.“ Mordechai überlegte: „Vielleicht bist du gerade deshalb Königin geworden.“ Und vielleicht hast du für deine Umgebung, deine Familie, für deine Gemeinde, für Israel genau die Talente bekommen, die du hast. Es ist nicht immer einfach. Aber Gott verspricht uns, dass er mit uns ist, wenn wir das, was wir können und haben, für ihn einsetzen!

Daniel Müller

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