Kapernaum

Warum ließ Jesus sich ausgerechnet in einem kleinen Fischerdorf nieder? Diese und weiter Fragen beantwortet Dany Walter in einem spannenden Beitrag.

Jesus wurde im Jordan von Johannes getauft. Dann widerstand er in der Wüste 40 Tage lang den Versuchungen des Teufels. Anschließend kehrte er nicht in seine Heimat Nazareth zurück, „sondern wohnte von da an in Kapernaum am See Genezareth“, wie Matthäus in seinem Evangelium schreibt. 

Viele haben schon die Frage gestellt: Warum schickte Gott Jesus in das Gebiet von Kapernaum? Warum lebte Jesus in den dreieinhalb Jahren seines Wirkens mit seinen Jüngern ausgerechnet hier? Warum nicht im viel größeren und wichtigeren Jerusalem? Hier erwarteten die Juden doch die Ankunft des Messias!

Ärmliche Gegend

Als Jesus lebte, war Kapernaum ein kleines Fischerdorf. Es gibt ein paar Anzeichen, die darauf verweisen, dass die Gegend arm war. An Ausgrabungen der Häuser und ihrer Fundamente lässt sich erkennen, dass die Häuser nicht von Fachleuten gebaut wurden, die schon damals die Steine so bearbeiten konnten, dass die Fundamente Stabilität erhielten. Stattdessen waren die Steine einfach in der Umgebung gesammelt und aufeinandergesetzt worden, was sicher keine besonders stabilen Wände ergab. Wenn wir uns die Geschichte im Neuen Testament ansehen, in der ein Kranker durch das Dach eines Hauses herabgelassen wurde, scheinen auch die Dächer nicht allzu stabil gewesen zu sein.

Manche Besucher in Kapernaum irritiert die prachtvolle Synagoge in der Mitte der Ortschaft. Doch sie stammt nicht aus der Zeit Jesu. Sie wurde erst Jahre später, nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, erbaut. Das war die Zeit, in der das Judentum um seine Existenz kämpfte und man prachtvolle Synagogen errichtete, um etwas von der Herrlichkeit des Jerusalemer Tempels darzustellen, damit die Juden ihrem Glauben nicht den Rücken kehrten. 

Auch die Landwirtschaft war zu Jesu Lebzeiten in Kapernaum schwierig. Die ganze Region ist steiniges Vulkangebiet ohne Humusboden. Auch größere Quellen fehlen hier. Die wassertragenden Schichten sind nur ein paar Meter dick. Daher gibt es nur dort ein paar Pfützen, wo Quellen aus dem Felsen kommen. Eine solche Umgebung sorgte für Krankheiten wie etwa Malaria. Man vermutet, dass die Schwiegermutter von Petrus, die hier lebte, daran litt. Übertragen wurden diese Krankheiten von Moskitos. Ein berühmter Schriftsteller reiste Mitte des 19. Jahrhunderts nach Kapernaum. Sein Name ist ziemlich bekannt: Mark Twain. Er schrieb, dass er in diesem Gebiet von Weitem viele Kinder mit dunklen Brillen sah. Doch als er näherkam, bemerkte er, dass es gar keine Brillen, sondern Moskitos auf den Augen der Kinder waren.

Kulturelle Offenheit

Die Jünger waren einfache Fischer, die mit primitiven Mitteln Fische fingen. Meistens nicht viele. Als Jesus ihnen einmal auftrug, das Netz noch einmal auf der anderen Seite auszuwerfen, fingen sie 153 Fische. Das war für sie eine Rekordmenge.

Die große Frage ist: Warum sollten diese einfachen Leute aus dieser armen Gegend der ganzen Welt die große Botschaft von Jesus verkünden? 

Die erste Antwort ist die: Sie glaubten Jesus. Vielleicht wäre das bei den gebildeten und reichen Menschen in Jerusalem anders gewesen. Denn die Finanzen waren ein großes Problem. Die römische Besatzungsmacht trieb hohe Steuern ein. Deshalb mussten Maria und Josef auch nach Bethlehem reisen. Es ging um Steuerfragen. Abgerechnet wurde pro Kopf, unabhängig von der finanziellen Lage des Einzelnen. Für die reichen Bewohner von Jerusalem war die Steuersumme daher nicht so erheblich. Aber für die arme Bevölkerung in Kapernaum war es eine riesige Last, unter der sie litten.

Auch unterschied sich das Leben auf dem Dorf von dem in der Stadt. Juden und Römer lebten in den Dörfern viel enger zusammen und es gab einen Austausch zwischen den Kulturen. Als Jesus in Gerasa den Besessenen von Dämonen befreite, schickte er sie in eine Schweineherde. Aber welcher Jude züchtet Schweine? Juden durften kein Schweinefleisch essen. Selbstverständlich gehörten die Schweine daher keinem Juden, sondern der römischen Bevölkerung. Juden und Römer lebten in Dörfern wie Kapernaum eng zusammen. Die Römer verbreiteten die griechische Kultur. Sogar in der späteren Synagoge finden wir hellenistische Elemente wie die Venusmuschel und den Herkulesknoten. Zur griechischen Kultur gehörte auch eine Neugierde und Offenheit für Neues. 

Viele Reisende

Dass sie, die armen Fischer und Nichtgelehrten, die Botschaft von Jesus weitertragen sollten, konnten die Jünger selbst nicht glauben. Deshalb gingen sie nach dem Tod von Jesus in ihren Alltag zurück. Es dauerte bis Pfingsten, dass die Apostel anfingen, hinaus in die Welt zu gehen. An Pfingsten begann die große Überraschung. Und sie hat etwas mit der geografischen Lage von Kapernaum zu tun.

Israel war schon immer ein Land, durch das große Verkehrsströme zogen. Handels- und Reiserouten verliefen von Ägypten an der Küste entlang nach Mesopotamien oder von Ägypten östlich am Toten Meer vorbei nach Damaskus und weiter gen Norden. Und das kleine Fischerdorf Kapernaum lag genau auf der wichtigsten Verkehrsschlagader der östlichen Mittelmeerregion! Karawanen, Händler und Reisende aus dem Süden kamen auf ihrem Weg durch Kapernaum, bogen hier gen Norden ab, um wenige Kilometer weiter den Jordan überqueren zu können. 

In den dreieinhalb Jahren, in denen Jesus in Kapernaum wirkte, kam also beinahe der gesamte Fremdenverkehr des Nahen Ostens vorbei. Damals bewegte man sich nicht wie heute fort – mit dem Navi den kürzesten Weg über die Autobahn. Alles verlief viel langsamer. Man machte Rast, versorgte sich und die Tiere. So geschah es, dass Leute Jesus trafen – manchmal einen Tag lang, manchmal eine ganze Woche. Mit ihrem persönlichen Erlebnis mit Jesus und den Jüngern zogen sie weiter und kehrten irgendwann in ihre Heimat zurück, nach Damaskus, Rom, Ägypten, Babylonien. Sie erzählten, was sie in Kapernaum mit Jesus erlebt hatten. Hier kommt die Überraschung ins Spiel, die die Apostel erlebten: In der gesamten alten Welt war der Name Jesus schon bekannt! Der Boden war für die Apostel schon bereitet. Als sie in fremde Städte kamen, war das, was sie erzählten, nichts Unbekanntes mehr. Überall wurden sie mit offenen Armen empfangen. Die Leute sagten: „Ihr wart doch dreieinhalb Jahre mit Jesus zusammen – erzählt alles, was ihr erlebt habt!“ Auf diese Weise lässt sich leicht verkündigen. Und so wurde die Botschaft des gelernten Zimmermanns, Gottes Botschaft der Rettung, von einem Fischerdorf aus in die gesamte Welt getragen.

Dany Walter

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