Schalom – Lachen erlaubt

Über einen Segen, der unser Herz, unsere Beziehungen und unsere Welt heilt

Ein Abend voller Heiterkeit. Menschen sind zusammen, wünschen sich ein gutes neues Jahr. Die Stimmung ist entspannt und gelöst. Während ich mich angeregt unterhalte, tritt jemand zu unserer kleinen Runde. Erwartungsvoll sehe ich, wie mein Nachbar die ankommende Person begrüßt – doch statt eines freundlichen „Hallo“ oder „Schön, dich zu sehen“ kommt ein gespielt ernster Satz: „Haben wir noch ein Hühnchen miteinander zu rupfen?“ 

Der Neuankömmling schmunzelt, ist aber sichtlich um eine Antwort verlegen. Er wendet sich mir zu und sagt: „Das sagt er immer wieder… Ich habe keine Ahnung, warum.“ 

Bevor ich etwas erwidern kann, meint mein italienischer Gesprächspartner mit einem breiten Lächeln: „In Italien antworten wir dann: Das Hühnchen haben wir längst gegessen!“ 

Die Runde bricht in schallendes Lachen aus. In dieser Mischung aus unerwartetem Humor und gespielter Ernsthaftigkeit liegt plötzlich ein Gefühl von Frieden und Leichtigkeit. Man spürt: Hier ist alles gut.

Genau das ist die Faszination eines solchen Moments – und genau das ist Schalom. Der Schweizer Theologe Bernhard Ott sagt: „Wenn wir einander in die Augen schauen und auf die Frage ‚Freust du dich, mich zu sehen, oder ist noch etwas zwischen uns?‘ mit einem lachenden ‚Es ist alles in Ordnung‘ antworten können – dann ist Schalom.“ Schalom ist also mehr als ein Wort. Es ist eine Einladung: zum Frieden mit Gott, mit anderen, mit der Schöpfung – und mit uns selbst. 

Schalom ist mehr

Frieden. Ein Wort, das auf den ersten Blick simpel klingt, aber eine Tiefe birgt, die uns immer wieder überrascht. Wenn wir an Frieden denken, stellen wir uns oft vor, dass es einfach keine Konflikte gibt – keine Streitereien, keine Spannungen. Aber Schalom ist mehr als nur die Abwesenheit von Problemen. Es ist ein Zustand, in dem sich unser Leben anfühlt, als hätte es das Lächeln unseres italienischen Freundes: leicht, erfüllt und einfach gut.

Der jüdische Talmud beschreibt es so:

„Der Ewige, gelobt sei Er, fand kein Gefäß, um Segen für das Volk Israel aufzubewahren, als das Gefäß des Friedens.“ (Ukzin 3:12)

Stell dir das einmal bildlich vor: Frieden ist wie eine große Schale, die alles Gute im Leben zusammenhält. Ohne Frieden würde all der Segen, den wir haben, einfach durchsickern und verloren gehen. Ohne dieses Gefäß gibt es keinen Ort, an dem Segen bleiben kann. Wir können Gesundheit, Wohlstand oder Erfolg haben – aber wenn Frieden fehlt, ist es, als ob wir all das in unseren Händen halten wollten, nur damit es uns durch die Finger rinnt.

Schalom ist keine bloße Abwesenheit von Ärger oder Lärm. Es ist vielmehr ein Zustand, in dem alles im Einklang ist – mit uns selbst, mit den Menschen um uns und sogar mit der Welt, in der wir leben. Die Wurzel des hebräischen Wortes Schalom bedeutet „ganz“ oder „vollständig sein“. Und genau darum geht es: Schalom bringt uns an einen Ort, an dem nichts fehlt und nichts zerbricht.

Schalom als Lebensstil

Was macht also Schalom aus? Er ist nicht nur ein Zustand, den wir erleben – er ist ein Lebensstil. Er beginnt bei uns selbst, in den kleinen Momenten des Alltags. Mit einem Lächeln, das Spannungen löst. In einem versöhnlichen Wort, das eine Brücke baut. In der Bereitschaft, einen Streit loszulassen und zu sagen: „Das Hühnchen haben wir längst gegessen.“

Schalom ist eine Einladung, aktiv Frieden zu schaffen. Es bedeutet, in unseren Beziehungen Harmonie zu fördern, Vergebung anzubieten und anderen Raum zu geben, sich zu entfalten. Es fordert uns heraus, nicht nur passiv auf Frieden zu hoffen, sondern ihn aktiv zu gestalten.

Letztlich ist Schalom das, was unser Leben wirklich reich macht. Rabbiner haben einmal gesagt: „Wer ist reich? Derjenige, der mit dem zufrieden ist, was er hat.“ Und wenn wir ehrlich sind, gibt uns nichts ein stärkeres Gefühl von Fülle und Zufriedenheit als Frieden – mit uns selbst, mit anderen und mit Gott.

Vielleicht sollten wir alle ab und zu innehalten und uns fragen: Wo fehlt uns Schalom? Und was können wir tun, um diesen Frieden zurückzuholen? Denn wenn Frieden das Gefäß ist, das alles zusammenhält, dann lohnt es sich, es zu füllen – mit Liebe, Lachen und einem guten Wort, das sagt: „Es ist alles in Ordnung.“

Aaron, der Segensbringer

Stell dir vor, du steckst mitten in einer schwierigen Situation, und plötzlich sagt jemand: „Keine Sorge, ich rede für dich.“ So ähnlich begann Aarons Geschichte an der Seite von Mose. Mose, der vor dem brennenden Dornbusch zögerte, Gottes Auftrag anzunehmen, fühlte sich zu schwach, um mit dem mächtigen Pharao zu sprechen. Doch Gott hatte eine Lösung: „Ist da nicht dein Bruder Aaron, der Levit? Ich weiß, dass er gut reden kann“ (2. Mose 4,14).

Und so wurde Aaron berufen, Mose zu unterstützen – als Sprecher, Vermittler und Mittler. Während Mose vor Gott stand und die Botschaften empfing, war es Aaron, der sie dem Volk Israel und später dem Pharao überbrachte. Aaron wurde zur Stimme, die Gottes Frieden inmitten von Chaos und Sklaverei verkündete.

Doch Aaron war nicht nur ein begabter Redner. Seine Rolle entwickelte sich weiter. Als Gott das Volk Israel aus Ägypten führte und die Ordnung des Gottesdienstes etablierte, wurde Aaron als Hohepriester eingesetzt. Es war keine kleine Aufgabe. Er sollte die Verbindung zwischen Gott und dem Volk aufrechterhalten – eine Verantwortung, die er durch Rituale, Gebete und Segen erfüllte.

Einer dieser Segnungen ist bis heute bekannt: Der priesterliche Segen. Gott sprach zu Mose:

„Sag Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr die Israeliten segnen. Sprecht: ‚Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten und sei dir gnädig; der Herr wende sein Angesicht dir zu und gebe dir Frieden.‘“ (4. Mose 6,23-26)

Stell dir vor, wie Aaron diese Worte über das Volk gesprochen hat – Worte, die nicht nur Segen brachten, sondern Trost, Hoffnung und Frieden. Worte, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Bis heute sprechen wir diesen Segen in Gottesdiensten, in unseren Familien und manchmal sogar in stillen Momenten für uns selbst. Es ist ein Segen, der die Zeit überdauert hat, weil er die Essenz von Schalom ausdrückt: Schutz, Gnade und Frieden.

Aarons Geschichte zeigt uns, wie Berufung wachsen kann. Vom Bruder, der für Mose sprach, wurde er zum geistlichen Leiter, der über das Volk den Frieden Gottes aussprach. Sein Weg erinnert uns daran, dass auch wir in unserem Umfeld Mittler des Friedens sein können. Vielleicht beginnt es mit einem einzigen Wort – einem Segen, einem Lächeln, einer Geste, die sagt: „Alles ist in Ordnung.“

So wie Aarons Segen über Jahrtausende weitergetragen wurde, können auch wir Frieden und Hoffnung in die Welt bringen. Denn Schalom beginnt mit dem Mut, Frieden zu sprechen – und ihn zu leben.

Schalom ist dynamisch

Frieden ist nicht einfach etwas, das wir besitzen – Frieden ist dynamisch. Schalom fordert uns heraus, aktiv zu werden. Er beginnt in unseren Herzen, doch er bleibt nicht dort. Frieden geht hinaus, baut Brücken und lädt andere ein, Teil dieser Bewegung zu sein. Friede ist wie ein Funke, der überspringt und dich und andere entzündet. 

Friedensstifter sind keine stillen Zuschauer, sondern die Hauptdarsteller in Gottes Plan. Es ist unser Handeln, das den Unterschied macht. Was heißt das konkret? Vielleicht bedeutet es, den ersten Schritt zu machen und Vergebung anzubieten, auch wenn es uns schwerfällt. Oder jemandem Hoffnung zu schenken, der sie gerade verloren hat. Manchmal bedeutet es einfach, zuzuhören – wirklich zuzuhören – und damit Raum für Begegnung und Versöhnung zu schaffen.

„Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (Matthäus 5,9)

Ein Beispiel aus dem Alltag: Erinnerst du dich an die letzte unangenehme Situation mit einem Freund oder einem Kollegen? Vielleicht gab es ein Missverständnis, vielleicht sind harte Worte gefallen. Was wäre passiert, wenn jemand gesagt hätte: „Lass uns reden“? Oft reicht ein kleiner Schritt, um große Mauern einzureißen und einen Weg zum Frieden bahnen.

Schalom ist ansteckend

Wenn wir Frieden bringen, breitet er sich aus. Schalom ist ansteckend. Ein versöhnliches Gespräch kann eine Beziehung heilen. Ein Lächeln kann jemanden ermutigen. Und ein Segen, wie Aaron ihn sprach, kann eine ganze Generation prägen. Frieden ist nicht immer leicht, aber er ist immer richtig. Es geht darum, uns nicht von Resignation oder Unfrieden lähmen zu lassen, sondern aktiv Harmonie zu suchen – in unserer Familie, in unseren Gemeinden und sogar in der Welt um uns herum. Jeder Schritt in Richtung Frieden zählt. Schalom beginnt in deinem Herzen – aber er endet nicht dort.

Kultur des Wohlbefindens

Schalom ist weit mehr als ein persönlicher Zustand – es ist eine Einladung an uns alle, eine Atmosphäre des Wohlbefindens zu schaffen. Ein Friedensstifter gestaltet Räume, in denen Menschen aufblühen können. Es beginnt mit den kleinen Gesten: einem freundlichen Wort, einer versöhnlichen Handlung oder einem offenen Herzen. Diese scheinbar unscheinbaren Momente können große Wellen schlagen und unser Umfeld positiv verändern.

Erinnern wir uns an das Hühnchen, das „längst gegessen“ ist. Vielleicht begegnen wir im Alltag Menschen, die sprichwörtlich noch ein Hühnchen mit uns zu rupfen haben. Statt auf Distanz zu bleiben, können wir die Einladung zu einem klärenden Gespräch aussprechen – oder warum nicht tatsächlich zu einem gemeinsamen Essen? Diese Gesten des Friedens schaffen Verbindungen, stärken Beziehungen und fördern eine Kultur, in der Heilung und Harmonie möglich werden.

Frieden ist so viel mehr als das Fehlen von Konflikten. Schalom ist ein Lebensstil, der uns herausfordert, aktiv Frieden zu suchen und ihn zu leben – in unseren Worten, unseren Taten und unserer Haltung. Aaron zeigte uns, wie ein Leben als Friedensstifter aussieht: ein Leben, das Segen bringt und Menschen verbindet.

Der Friede, den wir suchen, ist kein statischer Zustand. Er ist eine Bewegung, die Heilung und Ganzheit in unsere Gemeinschaften bringt. Er lädt uns ein, Gottes Herrlichkeit in die Welt zu tragen, durch kleine und große Taten der Versöhnung. Ein kleines Zeichen des Friedens kann eine große Welle der Veränderung auslösen.

Thomas Inhoff, Pastor im Missionswerk Karlsruhe

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